Adieu DDR , es lebe die BRD
Am 3. Oktober 1990 war alles zu Ende. Die DDR verschwand von der Landkarte. Aber die Filmfestspiele interessierten sich in den folgenden Jahren mehr denn je für Filme der DEFA, in deren Regalen sich bislang verbotene oder weniger bekannte Filme verbargen. Nachdem die ersten Emotionen vorüber waren, war außerdem die Zeit gekommen für Erinnerung, Reflexion und Analyse einer nahen Vergangenheit, beliebte Themen für Retrospektiven. Auch mussten wir neu über die Filmfestspiele nachdenken, und vor allem die Veranstaltungsorte. Deshalb haben wir den Palast der Republik besichtigt, der uns ideal gelegen schien. Der Plenarsaal der Volkskammer war schon mit 35 mm- und 70 mm-Vorführapparaten ausgestattet, während im Großen Saal eine Eidophor-Anlage vorhanden war. Die Leitung vor Ort, die noch im Amt war, gab uns allerdings zu verstehen, dass der Veranstaltungskalender für die nächsten zwei Jahre so voll sei, dass es kaum Platz für unser Festival geben werde. Kurz nach unserem Besuch wurde das Gebäude geschlossen und dann später abgerissen. Im übrigen hatten sich die Behörden schon in den Kopf gesetzt, dass die Filmfestspiele in Zukunft auf dem entstehenden Zentrum am Potsdamer Platz stattfinden sollten.

Was behält man von den ostdeutschen Filmen jener Zeit zurück? Zunächst muss man eine beachtliche Vielfalt in der Produktion festhalten und im Großen und Ganzen wenig Filme, die unterwürfig regimetreu waren, selbst wenn man natürlich keine Werke suchen darf, die unverhüllt oppositionell waren.
Was die Propaganda betraf erfüllte - außer einigen Dokumentarfilmen zum Beispiel von Karl Gass - das staatliche Fernsehen schon weitgehend diese Rolle. Die Filmproduktion wurde stark überwacht, und selbst wenn die Filmschaffenden offensichtlich eine gewisse schöpferische Freiheit hatten, so mussten sie doch Filme abliefern, die den machthabenden Apparat nicht direkt angriffen. Es bedurfte seitens der Regisseure einigen Mutes, um sich von der Vormundschaft des Staates zu befreien und einen Teil Freiheit zu gewinnen. Außerdem konnte eine Anerkennung im Ausland manchmal helfen. Wie in den anderen “Bruderstaaten” waren 20% der Jahresproduktion Kinderfilme. Phantasie und Pädagogik vermischten sich in den Werken, die zum Teil von bemerkenswerter Qualität sind.

Die Filme der DEFA waren auch Nährboden für sehr talentierte Schauspieler und Schauspielerinnen, die größtenteils vom Theater kamen. Viele machten nach der deutschen Einheit auch international eine bedeutende Karriere. Die Filmschaffenden mussten zwar das in den eigenen Orwo-Werken hergestellte Farbfilmmaterial minderwertiger Qualität benutzen, aber sie verfügten in Babelsberg über eines der größten Studios in Europa mit unzähligen Mitarbeitern und erfahrenen Technikern, selbst wenn die Studios aus finanziellen Gründen schlecht isoliert und altmodisch ausgestattet waren. Dieses Manko war aber kein großes Hindernis, denn Erfindungs- und Einfallsreichtum gab es meisterhaft vor Ort.
Glücklicher ?
Das war zwar erst gestern, aber es scheint schon so weit entfernt. Sind wir heute glücklicher und werden bessere Filme hergestellt, jetzt wo wir Demokratie und Freiheit in einem vereinten Land wiedergefunden haben? Sind wir freier um die Filme zu drehen von denen wir träumten, nachdem die unerbittlichen Gesetze des liberalen Kapitalismus und des Box Office die Gebote einer Einheitspartei ersetzt haben? Manch ein Regisseur oder Künstler der DDR muss sich heute diese Frage stellen. Ich kann unmöglich an ihrer Stelle antworten, ebenso wie es unmöglich ist, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Aber haben nicht die Berliner, bekannt für ihre Wortschöpfungen, nicht ohne Häme die frühere DDR eine “Kohlonie” genannt in Anspielung auf den damaligen Bundeskanzler? Was die deutsche Einheit betrifft, abgesehen von der unsäglichen Mauer und ihren Opfern, muss ich gestehen dass ich als Ausländer ein gemischtes Gefühl hatte. Zu jener Zeit klang mir die Mahnung meines Vaters im Ohr, einem ehemaligen Offizier  der britischen Armee, der Deutschland vor dem 2. Weltkrieg sehr gut gekannt hatte: “Vorsicht, wenn Deutschland eines Tages wiedervereint ist.” Weit weg von Berlin, seit langem Schweizer, tröste ich mich in der Illusion eines neutralen Landes und beobachte was die Zukunft uns bringen mag.

Moritz de Hadeln
Gland (Schweiz), Oktober 2009
Die DDR auf den Int. Filmfestspielen Berlin (Fortsetzung und Schluss)
Oben links: Stempel der DDR vom 10. November 1989
Visum für die DDR vom 28. Dezember 1989
Werbung in Variety, Januar 1991
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